Wendelsee

Als ein See das ganze Oberland verband

(Quelle: https://www.bernerzeitung.ch)

    Es gibt etliche Oberländer Organisationen, Restaurants, Firmen oder Vereine, die den Begriff Wendelsee im Namen führen. Auf Spurensuche nach dem Riesensee, den es ohne die Aare nie gegeben hätte.

    Was genau war der Wendelsee? Und wo lag dieser eigentlich? Um diese Fragen zu beantworten, muss man einige Millionen Jahre zurückschauen. Eine ausführliche Geschichte der Vegetation und des Klimas im Aaretal von der Grimsel bis zum Jura stützt sich seit einem halben Jahrhundert in zunehmendem Masse auf die Blütenstaubuntersuchungen der Naturwissenschaftler.

    In den organischen Ablagerungen der Seen und Moore und in den sandigen und tonigen Ablagerungen der Bäche und Flüsse in unseren Seen und Talsenken wird der jährlich einfallende Pollen eingebettet und erhält sich darin über Tausende, ja Millionen Jahre. Was sich im Grundsatz sagen lässt: Massgebend an der Entstehung des Wendelsees und der heutigen Topografie war die Aare.

    Die Ur-Aare ebnete den Weg

    Ein erster Vorläufer der Aare entstand etwa zeitgleich mit den Alpen, vor rund 30 Millionen Jahren. Aus dem zunächst kleinen Flusssystem entwickelte sich schliesslich die Ur-Aare, welche das Gebirge je nach Zeitraum Richtung Osten oder Westen entwässerte. Auf diese Weise erreichte das Aarewasser im Laufe der Jahrmillionen vier verschiedene Meere.

    Während des Eiszeitalters, das vor 2,6 Millionen Jahren begann, erlangte das Flussnetz in etwa seine gegenwärtige Form. Im Bereich des späteren Brienzersees muss vorher eine Gebirgszone existiert haben, die erst später in der Zeitrechnung vom Aaregletscher überfahren und abgetragen wurde. Die Aare konnte dann ihrem heutigen Lauf Richtung Brienz–Interlaken–Thun–Bern–Seeland folgen – so zumindest die Vorstellung.

    Vier gewaltige Eisströme, der Oberaargletscher, dessen Abfluss die Aare bildet, die nach kurzem Lauf den Abfluss des Unteraargletschers aufnimmt, der Lauter-aargletscher und der Finsteraargletscher sind die Überreste des einst riesigen Aargletschers. Dieser erstreckte sich bis zum Jurabogen hinunter.

    Der Aargletscher reichte während der letzten Kaltzeiten bedeutend weiter nach Norden und vereinigte sich im Mittelland mit dem Rhonegletscher im Südwesten und dem Rheingletscher im Nordosten. Die Aargletscher haben durch die naturwissenschaftlichen Studien von Franz Joseph Hugi und von Louis Agassiz im 19. Jahrhundert ein erhöhtes Interesse gewonnen. Die Forscher interessierten sich damals vor allem für die Fliessgeschwindigkeit von Gletschern.

    Von Meiringen bis nach Thun

    Nach dem Rückzug des Aargletschers und der aus dem Jung fraugebiet herunterreichenden Eisströme vor gut 10'000 Jahren entstand im Berner Oberland der nacheiszeitliche Wendelsee. Dieser gemeinsame Vorläufer von Thuner- und Brienzersee erstreckte sich einst von Meiringen bis in die Gegend nördlich von Thun.

    Im Laufe der Jahrtausende verlor der See zunehmend an Fläche, da er vom Geschiebe einmündender Flüsse aufgefüllt wurde. Der Wendelsee wurde in zwei Becken, den späteren Brienzer- und den Thunersee, getrennt. Es entstand das Bödeli.

    Erst gut 1000 Jahre getrennt

    Das Material, das den südlichen Teil des Bödeli auffüllte, brachte die Lütschine von Grindelwald und von Lauterbrunnen her. Von Nordosten schob der Lombach sein Geschiebe aus dem Habkerntal und füllte den nördlichen Teil und das sich westlich ausdehnende heutige Stadtfeld bis zum Unterseener Neuhaus. Die Lütschine überschwemmte das Bödeli ständig, dieses war sumpfig.

    Die vollständige Trennung des Wendelsees in zwei Seen, den Brienzer- und den Thunersee, war nachweislich um das Jahr 1000 abgeschlossen. Danach begannen die Mönche des Klosters Interlaken die Lütschine zu zähmen und in ein gelenktes Flussbett mit Abfluss bei Bönigen in den Brienzersee zu führen. Bönigen selbst liegt auf dem grossen Schuttkegel des Houetenbachs.

    Die Aare floss noch bis ins 19. Jahrhundert durch offenes Gelände und wurde erst nach und nach, zuletzt mit dem Bau der Schleusen in Unterseen im Jahr 1855 und des 1892 fertiggestellten Schifffahrtkanals, in die heutigen Flussbette gelenkt.

    Wie weit in den Westen?

    Die genauen Ausmasse des einstigen Wendelsees sind bis heute nicht endgültig erforscht. Noch ungenau bestimmt ist die einstige Ausdehnung vor allem für die Gegend nördlich von Thun, wo auch Seeablagerungen aus der vorletzten Eiszeit festgestellt wurden. Der untere, nordwestliche Teil des Sees zwischen Thun und Uttigen wurde von Kander und Zulg zugeschüttet.

    Die Kander mündete ursprünglich zwischen Thierachern und Allmendingen in den See, was zu einem Sumpfgebiet mit fortschreitender Verlandung bei Uetendorf führte. Erst Ende des Jahres 1713 erfolgte die Kanderkorrektion mit dem Durchstich durch den Felsriegel zwischen Einigen und Gwatt, wo die Kander heute in den Thunersee fliesst.