Die Geschichte der Schifffahrt im Berner Oberland

(Quelle https://www.bls.ch)

Die Gebrüder Knechtenhofer – innovative Hoteliers

1834 legen die Gebrüder Knechtenhofer den Grundstein für die Ausflugs-Schifffahrt auf dem Thunersee. Um ihr Hotel in Thun zu beleben, bestellen sie bei der Maschinenfabrik Cavé in Paris ein eisernes 16-PS-Dampfschiff. Schon im Sommer 1835 nimmt die «Bellevue» den Betrieb auf der Strecke Hofstetten–Neuhaus auf, für die es ohne Zwischenhalt rund 75 Minuten benötigt.

Der Erfolg des neuen Transportmittels bringt den Hotelier David G. Matti aus Kienholz auf die Idee, einen kleinen Dampfer vom Genfersee auf abenteuerlichen Wegen an den Brienzersee zu holen. Ab 1839 verkehrt das umbenannte «Giessbach» zwischen Interlaken und Brienz mit Halt in Giessbach.

Grosses Hin und Her auf den Berner Oberländer Seen

Auf dem unteren See wehren sich die Brüder Knechtenhofer gegen ein zweites Dampfschiff-Unternehmen. Sie einigen sich mit den Konkurrenten und gründen die Vereinigte Dampfschifffahrts-Gesellschaft für den Thuner- und Brienzersee, kurz VDG.

Die «Bellevue» wird im Winter 1842/43 auf den Brienzersee transportiert. Dort fährt sie bis 1857 unter dem Namen «Faulhorn». Hotelier Matti reagiert mit einer Rochade: Das «Giessbach» verkehrt ab 1843 zwischen Hofstetten und Neuhaus und konkurrenziert damit den neuen VDG-Dampfer «Niesen». 1846 kauft die VDG das Schiff von Matti und nennt es neu «Helvetia».

Bereits 1856 taucht auf dem Brienzersee ein anderer Mitbewerber auf: Mit dem eigenen Schraubendampfer «Giessbach» bieten die damaligen Besitzer des Hotels Giessbach Fahrten nach Interlaken und Brienz an. 1857 geht das Hotel mitsamt Schiff in den Besitz der VDG über. Kurz darauf wird das «Giessbach» abgebrochen – angeblich wegen einem Konstruktionsfehler. 1870 verkauft die VDG die Giessbach-Besitzung weiter.

Neue Schiffe, neue Bahnen

1859 wird die Bahnlinie Bern–Münsingen–Thun eröffnet. Zwei Jahre später wird sie bis Scherzligen verlängert, was den Anschluss an die Dampfschiffe Richtung Interlaken ermöglicht.

In dieser Zeit werden auf dem Thuner- und dem Brienzersee weitere Dampfschiffe in Betrieb genommen: «Stadt Thun» (1856), «Interlaken» (1857), «Giessbach» (1859) und «Stadt Bern» (1861). Das «Faulhorn» wird zum Schleppkahn umfunktioniert und auf den Thunersee zurückversetzt, wo es 1864 vor Oberhofen in einem Sturm sinkt.

Der Verkehr auf dem Thunersee hat mittlerweile stark zugenommen und der Gütertransport muss von den Passagierschiffen auf Schleppkähne verlagert werden. 1861 erwirbt die Dampfschiff-Gesellschaft zu diesem Zweck den Aare-Schlepper «Neptun», der bis 1873 eingesetzt wird.

Unzufriedene Interessenten aus dem Raum Interlaken gründen 1869 mit dem VDG-Angebot auf dem Brienzersee die Oberländische Dampfschifffahrts-Gesellschaft. Diese wird jedoch liquidiert bevor sie den Betrieb aufnehmen kann. Der bestellte Salondampfer fährt dadurch ab 1870 als «Oberland» für die VDG auf dem See.

In dieser Zeit laufen einige weitere Dampfer vom Stapel: «Beatus» (1871), «Brienz» (1871) und «Bubenberg» (1874). Der Zeitpunkt für diese Flotten-Erweiterung erweist sich als günstig, denn nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71 nimmt der Verkehr auf dem Thuner- und dem Brienzersee spürbar zu.

1874 wird die Bödeli-Bahn eröffnet. Dies bewirkt, dass die bisherige obere Endstation der Thunerseeschiffe von Neuhaus nach Därligen verlegt und der Schiffsbetrieb auf der Strecke Interlaken–Bönigen eingestellt wird. Schon 1873 nimmt die Bödeli-Bahn auf der Strecke Scherzligen–Därligen ein eigenes Fährschiff in Betrieb, das vier bis fünf Güterwagen befördern kann. Ein weiteres Trajektschiff mit einem Fassungsvermögen von fünf bis sechs Güterwagen wird ab 1886 eingesetzt.

Die Eröffnung weiterer Bahnen innerhalb weniger Jahre wirkt sich positiv auf die Entwicklung der Schifffahrt aus: Die Brünigbahn (1888), die Thunersee-Beatenberg-Bahn (1889), die Berner-Oberland-Bahnen (1890) und die Brienz-Rothorn-Bahn (1892). Da die Berner-Oberland-Bahnen zudem bei der Station Zollhaus (heute Interlaken Ost) an die Bödeli-Bahn angeschlossen wird und das Unternehmen dort einen neuen Bahnhof baut, wird ab 1891 auch die Schiffstrecke Bönigen–Interlaken wiedereröffnet.

Unter neuer Flagge

1889 wird die Thunerseeflotte mit dem neuen Dampfer «Helvetia» ausgebaut, um der wachsenden Nachfrage gerecht zu werden. Im Hinblick auf die Schliessung der Eisenbahnlücke zwischen Scherzligen und Därligen lässt die VDG zwischen 1890 und 1892 den 2,75 Kilometer langen Schiffskanal vom Thunersee zum Bahnhof Interlaken West erstellen, der noch heute befahren wird.

Nach Eröffnung der Thunerseebahn im Jahr 1893 muss die Schifffahrt anfänglich beträchtliche finanzielle Verluste hinnehmen, die zum Glück durch den Aufschwung des Fremdenverkehrs kompensiert werden. Die Zeit des Fährbetriebs ist jedoch endgültig vorbei.

Auf dem Thunersee wird der Schleppdampfer «Neptun» (1901), der für den lokalen Personenverkehr bestimmte Schraubendampfer «Spiez» (1901) und der stattliche Salondampfer «Blümlisalp» (1906) in Betrieb genommen, auf dem Brienzersee das Dampfschiff «Jungfrau» (1898) und das Gütermotorschiff «Mercur» (1901).

Nach zähen Verhandlungen vereinigen sich 1912 die VDG und die Thunerseebahn, die 1913 ihrerseits von der Berner Alpenbahn-Gesellschaft Bern-Lötschberg-Simplon (BLS) übernommen wird. Bis heute ist die BLS für die Schifffahrt auf beiden Oberländer Seen verantwortlich.

Der Zusammenbruch

Kurz vor dem ersten Weltkrieg erlebt die Schifffahrt auf beiden Seen ihren vorläufigen Höhepunkt: 1914 wird der neue Salondampfer «Lötschberg» in Betrieb genommen. Nach nur neun Tagen wird er jedoch wegen Kriegsausbruch für Jahre stillgelegt.

Die Ära der stolzen Salondampfer ist vorüber – die unbeschwerte «Belle Epoque» ist von der Realität eingeholt worden. Der Schiffsverkehr kommt beinahe vollständig zum Erliegen und wird infolge Kohlemangels im Winter 1917/18 zeitweise sogar ganz eingestellt.

In diese Zeit fällt zudem die Eröffnung der Rechtsufrigen Thunerseebahn (1914) und die Brünigbahn wird von Brienz nach Interlaken verlängert (1916). Diese beiden Bahnstrecken machen die Schifffahrt für den Bedarfsverkehr grösstenteils überflüssig.

Wegen der Kohleknappheit und um die Betriebsführung zu rationalisieren, wird das Gütermotorschiff «Mercur» 1918 gegen das auf dem Vierwaldstättersee verkehrende Motorboot «Mars» ausgetauscht. Dieses ist fortan als «Iseltwald» auf dem Brienzersee unterwegs.

1920 erwirbt die BLS zudem von der Dampfschiff-Gesellschaft des Vierwaldstättersees die «MS Astra», die auf dem Thunersee als «MS Gunten» eingesetzt wird.

Der Zweite Weltkrieg

Bei der Zusammenlegung des alten Thuner Bahnhofs und der Station Scherzligen zum neuen zentralen Bahnhof Thun wird im Jahr 1923 die Frage nach der Anbindung von Thunerseeschifffahrt und Bahn diskutiert. Die ideale Lösung entsteht 1925 mit der Erstellung des Schifffahrtskanals zum neuen Bahnhof.

Ende der Zwanzigerjahre nimmt der Passagierverkehr vor allem auf dem Thunersee wieder zu. Die Wirtschaftskrise der Dreissigerjahre trifft die Schifffahrt jedoch erneut hart. Im Zuge der Rationalisierung werden die Motorschiffe «Morgarten» (1928, ab 1949 als «Harder» unterwegs) und «Niesen» (1935) angeschafft. Dies bedeutete das Aus für die Dampfschiffe «Stadt Thun» (1929) und «Oberland» (1932).

1936 verliert der Schweizer Franken um 30 Prozent an Wert. Dies bringt dem Fremdenverkehr im Berner Oberland neuen Aufschwung. 1940 werden deshalb zwei neue Motorschiffe lanciert: Das «Thun» und das «Oberhofen», welches 1939 an der Schweizerischen Landesausstellung in Zürich im Einsatz steht. Kaum hat sich der Tourismus jedoch erholt, bricht der Zweite Weltkrieg aus.

Die Nachkriegsjahre

Das Ende des Zweiten Weltkriegs markiert den Beginn einer neuen Blütezeit für den Fremdenverkehr. Viele Schiffe sind mittlerweile veraltet und unwirtschaftlich und ein Erneuern der Thunersee-Schiffsflotte ist naheliegend.

Auf dem Brienzersee hingegen stellt sich nach jahrelangen Defiziten die Frage nach einer vollständigen Betriebseinstellung. Da die umliegenden Regionen auf Einnahmen aus dem Tourismus angewiesen sind, entscheidet sich die BLS jedoch auch hier für ein Auffrischen der Flotte. So werden 1950 das MS «Rothorn» und 1956 das MS «Interlaken» vom Stapel gelassen. Die letzten beiden Neuzugänge auf dem Brienzersee sind die Motorschiffe «Iseltwald» (1969) und «Brienz» (1981).

In einer spektakulären Transportaktion wird 1999 zudem das Thunerseeschiff «Jungfrau» auf den Brienzersee verfrachtet und mit einem neuen, blumigen Anstrich versehen. Mitte 2001 wird die kleine «MS Harder» verkauft. Sie verkehrt seither als «Schwan» auf dem Zugersee.

Auf dem Thunersee folgt eine Serie weiterer Motorschiffe: «Jungfrau» (1954), «Stadt Bern» (1956), «Niederhorn» (1959), «Bubenberg» (1962) und «Beatus» (1963). Der Salondampfer «Blümlisalp» wird 1971 ausrangiert. An seine Stelle tritt ein Motorschiff gleichen Namens. Es wird nach Wiederinbetriebnahme des alten «Blümlisalp» im Jahr 1992 in «Stadt Thun» umbenannt. 1974 wird die Flotte mit dem MS «Stockhorn» und 1996 mit der MS «Berner Oberland» weiter ausgebaut.

Mehr Erlebnis bei jedem Wetter

Mit Erlebnisschiffen strebt die BLS ums Jahr 2000 erhöhte Passagierzahlen bei schlechtem Wetter an: Die «Stadt Thun» wird im Winter 2000/2001 nach einer Idee des Thuner Künstlers Heinz von Gunten zum Drachenschiff umgebaut. Dieses einzigartige Linienschiff findet über die Landesgrenzen hinaus grosse Beachtung.

Gleichzeitig kann sich die «Fabelhafte Erlebnisregion Thunersee» etablieren, in welcher eine Reihe von Produkten und Dienstleistungen unter dem Zeichen des Drachens angeboten wird. Das Drachenschiff wird im Winter 2003/2004 wieder zur «Stadt Thun» umfunktioniert.

Doch auch die traditionelle Schifffahrt kommt in der Zwischenzeit nicht zu kurz: Im Winter 2000/2001 wird der Brienzerseedampfer «Lötschberg» nach Vorgaben der Denkmalpflege renoviert. Seit Juni 2002 ist ausserdem das neue Seminar- und Event-Schiff MS «Schilthorn» mit seiner modernen technischen Infrastruktur auf dem Thunersee unterwegs.

Tradition und Innovation

2006 feiert das Dampfschiff «Blümlisalp» seinen 100. Geburtstag. Im Winter zuvor wurde die «alte Lady» mit einer Grossrenovation für das feierliche Ereignis herausgeputzt.

2008 wird das Motorschiff «Stockhorn» – dem Zeitgeist entsprechend – zum ersten Lounge-Schiff der Schweiz umgebaut. Im gleichen Jahr würdigt der Internationale Rat für Denkmalpflege ICOMOS die Restaurierung des Salondampfers «Lötschberg» mit der «Besonderen Auszeichnung 2008».

Im Jahr 2009 verzeichnet die Schifffahrt Berner Oberland eine Rekordauslastung ihrer Kursschiffe.